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«Immer auch eine Art Treffpunkt»

Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs flüchtete Irina*, 48, mit ihrem Vater in die Schweiz. Ihr Neffe folgte vier Monate später nach. Die drei wohnen derzeit als Flüchtlinge mit Schutzstatus S in einer Wohnung in Frauenfeld. Die meisten Verwandten und Bekannten leben aber noch immer in der Ukraine. «Meine Stadt liegt direkt an der Front», sagt Irina. «Jeder weiss: Dort drüben stehen die Russen, aber es ist nach wie vor nicht klar, was weiter passieren wird.» Irina spricht einwandfreies Deutsch, denn sie studierte die Sprache in der Ukraine. Ihre Entscheidung für dieses Fach sei eine gute gewesen. «Nach dem Studium lebte ich einige Jahre in Deutschland, danach arbeitete ich in der Ukraine als Dolmetscherin und Übersetzerin», erzählt sie. Irina war beruflich sehr aktiv, begleitete Projekte und unternahm Dienstreisen.

Trotz ihres Uni-Abschlusses und ihrer hervorragenden Deutschkenntnisse sei es für sie schwierig, in der Schweiz Zugang zum Erwerbsleben zu finden. «Ich möchte unbedingt arbeiten – egal was», sagt sie. Immerhin fand sie eine 50-Prozent-Stelle als Unterrichtsassistenz. Sie würde aber gern Vollzeit arbeiten. Was sie gegenwärtig verdient, ist ungefähr das, was sie auch von der Sozialhilfe erhalten würde – und es ermöglicht ihr, auf Sozialgelder zu verzichten. «Es ist ein ganz anderes Gefühl, mein Geld selbst zu verdienen», sagt sie. «Ich bin sozusagen selbstständig und fühle mich weniger abhängig.» Seit ihrer Ankunft in Frauenfeld hat sich Irina mit anderen Flüchtlingen aus der Ukraine vernetzt, und sie ist mit ihnen in regelmässigem Austausch. «Die Stadt ist klein, deshalb kenne ich hier mittlerweile alle Ukrainerinnen und Ukrainer. Wenn nicht vom Namen, dann vom Sehen her – und wenn nicht vom Sehen, dann vom Hörensagen her.»

Auch an der Abgabestelle von Tischlein deck dich kennt Irina mindestens die Hälfte der Kundinnen und Kunden persönlich, und sie kommt gern mit ihnen ins Gespräch. «Das ist hier immer auch eine Art Treffpunkt, wo man untereinander Neuigkeiten austauscht», sagt sie. Seit sie von einer Schweizer Bekannten auf das Angebot von Tischlein deck dich aufmerksam gemacht wurde, nutzt sie ihre Kundenkarte jede Woche. «Dank der Essensausgabe können wir auf eine regelmässige Unterstützung mit Lebensmitteln vertrauen. Das ermöglicht uns, Geld für anderes zu sparen, und entlastet unser Budget sehr.» Der Schutzstatus der Ukrainerin und ihrer Familie wurde inzwischen um ein Jahr verlängert. Dennoch bleibt die Zukunft ungewiss. Dies erschwert es, Pläne zu schmieden. Doch Irina hat einen starken Willen und viel Durchhaltevermögen. Ihr Hauptmotto sei es, zu überleben und mit ihrem neuen Leben am Existenzminimum klarzukommen. Tischlein deck dich bietet ihr in dieser Zeit eine helfende Hand – und auch von ihren Mitmenschen erfährt die Ukrainerin viel Hilfsbereitschaft: «Alle Menschen, die ich hier getroffen habe, sind wahnsinnig offen, nett und herzlich!»

*Name geändert

Sind auch Sie in eine Notsituation geraten? Setzen Sie sich mit einer unserer 1400 Sozialfachstellen in Verbindung und beantragen Sie eine Kundenkarte. Die Ausstellung erfolgt nach situativer Abklärung. Die Sozialfachstellen finden Sie nach Kanton unter diesem Link.

Den gesamten Bericht finden Sie auch in unserem Geschäftsbericht.